Aus dem Tages-Anzeiger vom 13.07.2022

Gratis wohnt, wer auf Lili und Leo aufpasst

Katzen-Sitting Sommerzeit, Ferienzeit – Christin Schmidt und ihr 8-jähriger Sohn verreisen nach Korfu. Als Gegenleistung fürs Katzenhüten und Pflanzengiessen darf man in ihre Wohnung in Höngg einziehen.

 

Von Tim Wirth

 

Die Wörter «gratis» und «wohnen» folgen in Zürich selten aufeinander. Im Inserat von Christin Schmidt schon.

 

«Biete sonnige, helle Wohnung mit Balkon in Höngg, kleines Schlafzimmer, zwei süsse Hauskatzen, eine wöchentliche Gemüsetasche, eine tolle Espresso-Maschine und natürlich gratis wohnen :) »Die Gegenleistung: Auf die Katzen schauen. Die Pflanzen giessen. «Und das Katzenklo sauber halten», sagt der 8-jährige Otis beim Besuch in der Wohnung in Höngg. «Wäh, grusig.» Er ist gerade von der Schule gekommen und stellt die Katzen vor. «Die Graue ist Leo, die Schwarz-Weisse heisst Lili», sagt er.

 

Mutter Christin Schmidt sagt, sie sei froh, wenn jemand in den Ferien die Wohnung hüte. «Ich hätte ein komisches Gefühl, wenn ich dafür Geld verlangen würde. »Die Katzenpension sei für sechs Wochen zu teuer. Und einem Nachbarn möchte sie das für so lange Zeit auch nicht zumuten.

 

Architektin im Sabbatical 

Auf das Inserat haben sich sieben Personen gemeldet, darunter Marina Bosch. Die 38-jährige Architektin war Christin Schmidt sofort sympathisch. Ihre E-Mail sei nicht so überenthusiastisch gewesen, sagt Schmidt. Sie kam dann zum Kennenlernen vorbei. Auch der Zweitklässler Otis war dabei. Denn für einige Tage im Sommer werden er und seine Mutter mit der neuen Mitbewohnerin in einer Wohngemeinschaft leben, wenn sie von den Ferien kurz zurückkehren. Christin Schmidt schläft dann im Kinderzimmer zwischen Hunde- und Globi-Poster.

Da die 46-Jährige bis September in einem Sabbatical ist, verreist sie immer wieder. Während sie an einem Seminar am Bodensee ist, wohnt Otis bei seinem Vater. Die Eltern leben getrennt. Danach reisen Otis und seine Mutter mit Zug und Fähre nach Korfu und verbringen dort zwei Wochen in einer kleinen Ferienanlage, wo sie schon einmal waren. «Es ist das Paradies», sagt Otis. Er habe dort viele Freunde kennengelernt. Danach gehts noch in eine Hütte nach Graubünden.

 

Vor sieben Jahren hat Christin Schmidt schon einmal ihre Wohnung gratis zur Verfügung gestellt. Sie ging nach San Francisco in den Urlaub. Eine Frau aus Köln, die gerade nach Zürich zog und noch auf Wohnungssuche war, schaute nach den Katzen. «Das hat super funktioniert.»

 

Es gibt auch eine App

Für die Idee von Christin Schmidt gibt es auch eine App. Mehr als 99’000 Personen sind auf «Trusted Housesitters» registriert. Auf der Plattform vernetzen sich verreisende Katzenbesitzerinnen oder Reptilienliebhaber mit Personen, die gern kostenlos wohnen und mit Tieren können. Zum Zeitpunkt der Recherche suchen auf der Website drei Personen im Raum Zürich nach einem Tier-Sitter. Ein Ehepaar mit zwei Kindern verreist für zweieinhalb Wochen – jedoch ohne Hund Kylie. Jetzt suchen sie einen Sitter, der auf Kylie schaut und mit ihm spazieren geht. «She loves cuddles and love», schreiben die Besitzer. Wer sich Kylies annimmt, kann während der Zeit in einer 5½-ZimmerWohnung oberhalb des Türlersees wohnen. Apple TV, Disney+, Sky, Netflix und zwei Stand-up Paddles inklusive.

 

Gut möglich, dass die Familie rasch jemanden findet. Denn in Zürich sind auf der App derzeit 106 Housesitters gemeldet. Die erfahrenste heisst Irene. Auf einem Bild trägt sie ein T-Shirt des Musicals «Cats» – und eine Katze auf dem Arm. 43 Personen haben Irene bereits als Housesitterin bewertet. Sie hat schon auf Katzen, Hunde, Hasen und Fische in Zagreb und Berlin geschaut. Fünf Sterne für Verlässlichkeit und Tierpflege gab es von Ambra aus London, deren Katze Irene im April gehütet hat.

 

FürTierbesitzer, die ihre Wohnung nicht gratis zur Verfügung stellen wollen, gibt es weitere Hütemöglichkeiten. AufWebsites wie Petsitting24.ch bieten Privatpersonen Tier-Sitting-Dienste an. Einige Anbieter wie «Chatz und Huus» aus Wallisellen haben sich in diesem Bereich sogar professionalisiert.

 

Ins Katzen-Luxushotel

Und dann gibt es natürlich noch die Tierpensionen. In der Katzenpension des Zürcher Tierschutzes wohnen die Katzen maximal in Fünfergruppen und haben Blick auf die Lewa-Savanne des Zoos. Um aufgenommen zu werden, müssen sie kastriert, entwurmt, sozialverträglich und parasitenfrei sein. Im Preis von 22 Franken pro Tag sind Vollpension, Streicheleinheiten und freier Zugang zu den gesicherten Aussengehegen inbegriffen.

 

Wer es noch luxuriöser mag, kann in den Kanton Schwyz fahren.Das «Aristôtel, Swiss Luxury and SPA Cat Hotel» in Siebnen ist ein Katzen-Luxushotel. Es gibt Suiten, die Jungle, Waterfall oder Forest heissen. Dazu einen Shuttleservice, eine elektronische Postkarte pro Woche für die Tierbesitzerinnen und -besitzer sowie Bachblüten-Behandlungen, um den Katzen die Eingewöhnung zu erleichtern.

 

In der Wohnung von Christin Schmidt und Otis geht es bodenständiger zu und her. Am vergangenen Sonntag ist Marina Bosch bei ihnen eingezogen. DieArchitektin hat das Inserat zufällig entdeckt. Als Kind hatte sie eine Katze namens Balu. Nun wohnt sie in einer WG in Altstetten und überlegt immer mal wieder, ob sie sich eine Katze zutun soll.

 

«Jetzt kann ich mal für sechs Wochen ausprobieren, wie es ist», sagt sie. Zudem habe sie im Sommer wenig Ferien und freue sich auf den grossen Balkon. Einen Vertrag hat Marina Bosch nicht unterschrieben. «Das ist nicht nötig. Ich hatte bei ihr ein sehr gutes Gefühl», sagt Christin Schmidt. Sie habe einfach kurz gegoogelt, ob sie wirklich in einem Architekturbüro arbeite.